Zum Hauptinhalt springen

Wissenschaft wehrt sich

Gegen die wohlwollende Behandlung des Glyphosat-Themas durch das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) macht die Wissenschaft jetzt mobil: 96 Epidemiologen, Toxikologen, Statistiker und Molekularbiologen aus 25 Ländern stellen die abweichende Bewertung des BfR in Frage. Sie vermuten, dass dieses Amt schlicht interessierte Studien des Glyphosat-Herstellers Monsanto übernommen habe. Dafür spräche auch die Tatsache, dass im Bundesamt kein Wissenschaftler seinen guten Namen unter die Bewertung setzen mochte, so dass niemand wisse, wer dort im BfR konkret zu einer abweichenden Einschätzung gekommen sei. Die Forscher vermuten somit, es sei vielleicht der Hersteller Monsanto höchstselbst gewesen, der sich dort ein Gedicht geschrieben habe. Die ganze Geschichte verbirgt sich hinter dem folgenden Link:

„Forscher wollen Glyphosat-Zulassung stoppen.“

Für schlimmer als das Krebsrisiko halten viele übrigens die bodenzerstörerische Wirkung von Glyphosat, wie sie aus Argentinien (Soja-Anbau) und aus Kolumbien (bei der Koka-Felder-Zerstörung) bekannt ist. Nach zehn bis elf Jahren Anwendung des Herbizids ist aller Humus auf den Äckern restlos zerstört, die Saaten wurzeln nicht mehr im keimbefreiten Erdreich.

Dass unsere Bauern sehenden Auges ihre Existenzgrundlage selbst vernichten, das wiederum hat es in der jahrhundertelangen Geschichte des Bauerntums auch noch nicht gegeben …

Dichter Nebel ums Glyphosat / Foto: Thermos, CCL, Wikimedia

Dichter Nebel ums Glyphosat / Foto: Thermos, CCL, Wikimedia

Pro und contra Glyphosat

Zum Jahresende wird in Brüssel endgültig entschieden, ob der Einsatz von Glyphosat auf deutschen Äckern weiterhin zulässig ist. Die Petition, die dieses Herbizid wegen seiner möglicherweise krebserregenden Wirkung verbieten möchte, hat in kürzester Frist mehr als 333.000 Unterzeichner gefunden: ‚Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Glyphosat als „wahrscheinlich krebserzeugend” eingestuft.‘

Chemieproduzenten und Bauernverband wiederum bestreiten eine solche Wirkung, ihre Argumente finden sich hier.

Wer will, kann sich unter diesem Link an der Petition beteiligen …

Aus fürs Glyphosat?

Glyphosat-Molekül / Public Domain

Glyphosat-Molekül / Public Domain


Die Studie der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO zum Monsanto-Herbizid Glyphosat ist heute erschienen. Der Befund, zusammengefasst von der ‚Zeit‘:

„Ein Stapel an Beweisen spricht gegen Glyphosat: Es liegen umfassende Belege für diese Bewertung vor. Mehr als 200 Studien sind in die Bewertung eingeflossen. … In der Summe: Glyphosat ist „wahrscheinlich krebserregend für Menschen“. Die Untersuchungen hatten laut den Krebsforschern den Verdacht erhärtet, dass Glyphosat eine genotoxische Wirkung haben und dadurch bereits in geringsten Mengen krebserzeugende Mechanismen auslösen kann. … Der Gesamtbefund der IARC widerspricht der Einschätzung des deutschen Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR). Dieses hatte der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA empfohlen, die Zulassung von Glyphosat in der EU für die nächsten zehn Jahre zu verlängern. Das europäische Wiederzulassungsverfahren verzögert sich nun, da die EFSA die heute erschienene Monographie in ihrem Entscheid berücksichtigen will. Die Zulassung von Glyphosat, und folglich auch die aller Glyphosat-haltigen Pflanzenschutzmittel, läuft Ende des Jahres aus. … Die Glyphosate Task Force (GTF) sieht in der Monografie derweil „wenig bis keine praktische Relevanz für die Bewertung möglicher Risiken“ als Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft. Die GTF, ein Zusammenschluss von Monsanto Europa, Syngenta und anderen wichtigen Agrarchemie-Unternehmen, hatte den Antrag für die Wiederzulassung von Glyphosat in Europa gestellt.“

Man darf auf den Ausgang gespannt sein, vor allem deshalb, weil das Herbizid auch rings um Rethem unter Markennamen wie ‚Roundup‘ auf den Feldern hektarweise zum Einsatz kommt. Glyphosat wurde übrigens ursprünglich als eine Art ‚Agent Orange 2.0‘ für die amerikanische Antidrogenbehörde DEA und für die CIA entwickelt, als ‚Entlaubungsgift‘ im Kampf gegen die terroristische FARC und gegen die zahllosen Koka-Plantagen im kolumbianischen Urwald.

Gelbe Äcker im März

Die Diskussion um den Einsatz von Glyphosat verschärft sich, auch hier vor Ort. Denn natürlich betrifft der Streit eine landwirtschaftlich geprägte Region wie die unsrige in besonderem Maße. Aus zweierlei Gründen: Würde sich Glyphosat tatsächlich als gesundheitsschädlich herausstellen, wäre die Bevölkerung hier vor allen anderen betroffen. Aber auch die Landwirtschaft stünde ratlos da – bekanntlich ist sie kein ganz unbedeutender Faktor in unserer Region – dann, wenn ein Verzicht auf das Herbizid vorgeschrieben würde. Vor allem, weil dies einen erheblichen arbeitstechnischen Mehraufwand bedeutet, sobald der Gebrauch dieser ‚chemischen Sense‘ gesetzlich eingeschränkt wird. Von den Interessen der chemischen Industrie gar nicht zu reden, der ein Milliardenmarkt wegzubrechen droht. Entsprechend heiß und erbittert wird die Diskussion geführt, vor allem seit Glyphosat auch in der Muttermilch nachgewiesen wurde.

Zitieren wir hier einfach Statements der interessierten Wirtschaftszweige. Zunächst die Einschätzung von Proplanta, dem industrienahen ‚Informationszentrum für die Landwirtschaft‘:

„Die Arbeitsgemeinschaft Glyphosat, in der sich verschiedene Unternehmen der deutschen Pflanzenschutzindustrie zusammengeschlossen haben, rügte die Verunsicherung vieler Familien durch die Berichterstattungüber die Wirkstofffunde. Die Anlage der Untersuchung und ihre „effektheischende Art der Veröffentlichung“ hält sie für bedenklich. Der Vergleich mit Trinkwasser-Grenzwerten klinge auf den ersten Blick besorgniserregend. Es handele sich jedoch nicht um einen toxikologischen Grenzwert, sondern eine frühere Nachweisgrenze. Muttermilch sei ein sensibles und wichtiges Nahrungsmittel. Aber die darin festgestellten Mengen an Glyphosat sollten nicht zu falschen Schlüssen führen. Nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen gäben sie keinen Anlass zur Sorge. Der Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern forderte eine faire und wissensbasierte Diskussion auf der Grundlage von repräsentativen Studien. Man dürfe die Bevölkerung anhand von Stichproben nicht verunsichern. … Aus Sicht der Landwirtschaft sei das Mittel unverzichtbar, denn es gebe keine schonendere Alternative zum Glyphosat. … Minister Bonde zeigte sich unterdessen „äußerst beunruhigt“ von den Ergebnissen. Nachdem im März die Krebsforschungsagentur IARC der WHO Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend eingestuft habe, sei dies das nächste alarmierende Signal.“

Zwei Interessen kollidieren damit also: Die Unverzichtbarkeit des Mittels für die Landwirtschaft trifft auf eine höhere mögliche Krebsgefahr für die Bevölkerung, so wie dies vor allem die Weltgesundheitsorganisation festgestellt hat. Die Auseinandersetzung bezieht sich auf ein Mittel, das der Normalbürger für seine Auffahrt in keinem Baumarkt mehr erhält, und zwar aus Gesundheitsgründen, während zugleich die agrarisch genutzten Felder sich im Frühjahr hektarweise gelb färben dürfen. Was schreibt dazu ‚top agrar‘, das umsatzstarke Fachblatt für den modernen Landwirt?

„Die Analyse der zahlreichen Dokumente [durch das Bundesamt für Risikobewertung (BfR)] ergab keine Hinweise auf eine krebserzeugende oder fruchtbarkeitsschädigende Wirkung von Glyphosat bei Versuchstieren. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation hat dagegen den Wirkstoff Glyphosat im Frühjahr als wahrscheinlich krebserzeugend eingestuft. Die Entscheidung des IARC zum Glyphosat kann das BfR noch nicht beurteilen, da die Studie noch nicht vollständig vorliegt. Das BfR wird die vorgenommene Einstufung des IARC nach Erscheinen der Studie im August 2015 prüfen.

Letztlich aber wird wohl gar nicht das BfR entscheiden. Ganz unabhängig vom Bundesamt wird die zuständige EU-Kommission schon am Ende dieses Jahres eine Neubewertung des ‚Wirkstoffes gegen Altverunkrautung‘ vorlegen. Eine Verordnung dürfte die Folge sein, die dann von den Mitgliedsländern in praktisches Handeln umgesetzt werden muss.

Der Deutsche Bauernverband hat jetzt eine Argumentationshilfe herausgegeben, um den betroffenen Betrieben die kommende Diskussion zu erleichtern. Man sollte allerdings auch wissen, dass auf einem solchen Milliardenmarkt natürlich mit harten Bandagen gekämpft wird:

„Nach eigenen Angaben hat die BfR Hunderte Studien ausgewertet und kam anschließend, anders als andere Wissenschaftler, zu dem Schluss: Glyphosat ist nicht krebserregend. Einen Teil dieser Studien hat das Landwirtschaftsministerium auf Anfrage der Grünen Ende Juni namentlich benannt. Diese Liste mit 92 Titeln untersuchte nun die „Süddeutsche Zeitung“ und fand heraus: 14 davon waren gar keine wissenschaftlichen Expertisen, sondern Leserbriefe an ein Fachmagazin. Davon wiederum kamen zehn direkt von Mitarbeitern des Agrar- und Gentechnikkonzerns Monsanto, oder aus dessen Umfeld. Ein Skandal – und ein erneutes Indiz dafür, dass die BfR-Mitarbeiter ihre Arbeit nicht gerade objektiv erledigen. Dabei hängt von ihren Entscheidungen die Gesundheit von Millionen von Menschen ab.“