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Kultur ist für Banausen

Auch das Fahrrad muss da weg / Foto: Southpark, Creative Commons, wikimedia

Auch das Fahrrad muss da weg / Foto: Southpark, Creative Commons, wikimedia

Die Rethemer Provinzposse um die Wohlendorfer Ausstellung ‚Kunst auf dem Deich‘ [Link] zieht immer weitere Kreise und unser armer Deichverband gerät zunehmend in die Defensive. Das darf nicht sein. Deshalb habe ich einen Leserbrief an die ‚Walsroder Zeitung‘ geschrieben, der heute dort erschien. Hier zu Dokumentationzwecken der Text:

: Der Deich darf keine Hauptrolle mehr spielen, WZ v. 21. 8. 2014

Es ist völlig richtig, dass der Deichgraf, Herr Heinz von Ueltzen, die Verschandelung unserer schönen Deichlandschaft mit fragwürdigen Objekten untersagt, welche landfremde Hungerkünstler alljährlich ungestraft nach Wohlendorf verbringen durften. Die Gefahren sind einfach zu groß. Die Aller ist ein wilder und unberechenbarer Fluss – besonders im Juli.

Natürlich gibt es in der Stadt Rethem einige schräge Figuren, die jetzt mit haltlosen Behauptungen herumzufuchteln beginnen: So soll dieser ‚beauftragte Unternehmer‘ selbst im Vorstand des Deichverbandes sitzen – das tuscheln jedenfalls einige Unbelehrbare. Solche Vetternwirtschaft wäre schon deshalb ein Ding der Unmöglichkeit, weil dann eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ja als Auftraggeber zugleich ihr eigener interessierter Auftragnehmer wäre. Schon fällt auch dies Kartenhaus in sich zusammen. Ich bitte daher, solch ebenso schmuddeligen wie grundlosen Tratsch umgehend dort zu entsorgen, wo er hingehört – im Mülleimer nämlich.

Wir sind froh, dass uns Bürgern der Deichverband den freien, unverstellten Blick auf die schöne Allerniederung zurückgegeben hat. Die Kunst aber soll sich gefälligst dahin zurückziehen, wo sie hingehört: in ihre unaufgeräumten Ateliers. Bei uns in Rethem hat sie nichts zu suchen. Der viele Mais und die schöne Natur sind uns Bürgern Kunst genug.

Dr. Klaus Jarchow,
Frankenfeld-Hedern

Hier noch ein weiterer Artikel der Verdener Aller-Zeitung zum Thema: [Link]

Rethem – Hochburg des Muckefuck

Die Gemeine Wegwarte / Foto: TeunSpaans, wikimedia, GNU-Lizenz

Die Gemeine Wegwarte / Foto: TeunSpaans, wikimedia, GNU-Lizenz

In Rethem gab es einst eine Zichorien-Fabrik. Man darf sich darunter jetzt kein Gebäude mit Riesenschornstein und weitläufigen Hallen vorstellen, eher einen kleinen Anbau mit Röstpfanne neben einem ganz normalen Haus. Hans-Heinz Schultze schrieb 1987 in der ‚Walsroder Zeitung‘ einen Artikel zu dieser vergessenen Episode der Rethemer ‚Industriegeschichte‘:

„Kaffee, heute in aller Munde, war für die meisten Rethemer vor dem Kriege ein Luxusgetränk. Man trank Gerstenkaffee oder ähnliches Gebräu. Im Kriege gab es sowieso keinen Kaffee. Sonntags gab es dann mal 1/8 Kaffee. Um dem Gerstenkaffee einen gewissen Geschmack und auch die nötige Farbe zu geben, wurde Zichorie hinzugefügt. Rethem hatte einen „Zichorienbrenner“, Fritz Westermann. Er wohnte in einem kleinen Häuschen auf der Bleiche und brannte nicht nur für die Rethemer einen Extrakt aus der Wurzel, sondern fuhr auch mit einem kleinen Hundewagen über die Dörfer zu den Bauern, um dort im Hause zu brennen. Er gab seinen Beruf schon Ende der zwanziger Jahre auf, sein Nachfolger Wilhelm Engelke (Spitzname Richthofen) brannte noch bis in die vierziger Jahre hinein.“

Die Zichorie oder Gemeine Wegwarte wuchs damals überall am Wegesrand, eine Abart ihrer bitteren Knolle kann man noch heute als Chicoree auf jedem besseren Wochenmarkt zur Zubereitung exquisiter Salate kaufen. In Deutschland wurde die Wegwarte im Jahr 2009 zur Blume des Jahres gewählt. Die geröstete Wurzel dieser Pflanze setzte man dem Kaffee-Ersatz zu, um die ‚Plörre‘ etwas originalgetreuer schmecken zu lassen.

Der aus Gerste, Malz und anderen Zutaten hergestellte Ersatzkaffee trug damals die Bezeichnung „Muckefuck“ (von ‚Mocca faux‘ = ‚falscher Kaffee‘), und er wurde unter Namen wie ‚Caba‘ oder ‚Kathreiner Malzkaffee‘ im ganzen Land vertrieben. Heute ist das Getränk wieder sehr en vogue, vor allem in Kreisen, wo man auf eine nachhaltige Ernährung achtet. Unter Namen wie ‚Landkaffee‘ oder ‚Naturkaffee‘ wird er für teures Geld vermarktet. Überdies soll die Zichorie eine erotische Zauberkraft besitzen, die alte Männer in pubertierende Jünglinge zurückverwandeln kann.

Eigentlich wäre es doch eine gute Idee, diese alte Tradition der Zichorienbrennerei wiederaufleben zu lassen. Zumal ein solches Geschäft perfekt zur Geschichte Rethems als niedersächsischer ‚Produktionsstätte des Muckefuck‘ passen würde.