Heute lautet die große Frage nicht mehr, ob der ‚demographische Wandel‘ kommt, sondern nur noch, wie er sich auswirken wird. Das Schrumpfen der Bevölkerung durch Überalterung und Abwanderung wird auch Rethem zunehmend härter treffen, weil die kleine Stadt nun mal zu den ‚ländlichsten Regionen‘ zählt. So nennen Bevölkerungswissenschaftler jene Räume, die vor allem dörflich geprägt sind und fern von großstädtischen Zentren liegen. Eine besonders handlungsorientierte Studie etlicher Autoren zu den Problemen, vor denen Kreise und Kommunen heute stehen, hat das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung vorgelegt. Sie umfasst 132 Seiten und kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden [Link].
Interessant ist es, dass in ihr verschiedene Strategien beschrieben werden, den unausweichlichen Schrumpfprozess politisch zu begleiten. Sie sollen hier kurz vorgestellt werden.
1. Die Vogel-Strauß-Strategie: Verwaltung und Bürger stecken den Kopf in den Sand und warten ab – nach dem guten alten Kölner Motto: ‚Et is noch immer jot jejange‘. Chancen bietet diese Strategie so gut wie keine, jedenfalls solange nicht massenhaft Babys und neue Arbeitsplätze plötzlich vom Himmel fallen. Allenfalls großstadtnahe und finanzstarke Gemeinden in einem ‚Speckgürtel‘ können sich eine solche Strategie leisten. Der einzige Vorteil bestünde darin, dass vorab keine finanziellen Mittel unnütz ausgegeben werden. Der Finanzierungsstau aber wüchse kontinuierlich. Am Ende eines solchen Weges stünde wohl die ‚Einheitsgemeinde‘, also die Aufgabe jeder kommunalen Selbstständigkeit dank des zunehmenden Drucks der Verhältnisse, aufgrund jahrelanger Untätigkeit.
2. Die Stegreif-Strategie: Man handelt nur dann reflexhaft, sobald Eingriffe unvermeidlich werden. Bürger, Politik und Verwaltung arbeiten sich dann an Symptomen und Folgen ab. Eine solche Strategie ist derzeit in Bad Fallingbostel live zu erleben, dort, wo ein plötzlicher Truppenabzug der Briten die Stadt vor unvorhergesehene Probleme stellte, weil man sich ‚auf ewig‘ mit den Soldaten eingerichtet hatte. Ein Szenario ohne Militär wurde dort nie auch nur präventiv diskutiert. Eine solche Strategie bietet für Kommunen hohe Risiken und kaum Chancen. Im Straßenverkehr nennt man dies ‚auf Sicht fahren‘. Wenn das Auto dann im Nebel vor die Mauer fuhr, folgen meist flehentliche Appelle an die nächsthöhere Verwaltungsebene, mit Fördermitteln einzugreifen. In Rethem dürfte sich ein solcher Wandel kaum so abrupt vollziehen, weil es hier keinen großen, nahezu monopolartigen Arbeitgeber gibt, zukunftsträchtig ist eine solche Strategie deshalb trotzdem nicht.
3. Die Sankt-Florians-Strategie: Eine Gemeinde mit einigen wenigen ‚Standortvorteilen‘ nutzt diese, um selbst Bevölkerung anderer Gemeinden anzuziehen – zum Beispiel mit der Existenz weiterführender Schulen, mit guter ärztlicher Versorgung, mit kulturellen Angeboten etc. Sie entginge damit dem demographischen Wandel gewissermaßen ‚auf Kosten anderer‘. Im südlichen Heidekreis ist ein solches Vorgehen wenig erfolgversprechend. Mit welchen Vorteilen gegenüber Nachbarstädten sollten Eystrup, Rethem oder Ahlden jeweils ausgerechnet für sich werben? Die unaufhaltsame ‚Konkurrenz um die Köpfe‘ findet heute im Wettbewerb mit großstädtischen Ballungsräumen statt. Eine solche Strategie könnte daher allenfalls funktionieren, wenn alle Landgemeinden gemeinsam und koordiniert in Konkurrenz zu den Großstädten um Menschen und Verdienstmöglichkeiten werben. Hierzu wäre aber auch ein Umdenken der Entscheidungsträger auf Landesebene nötig, die bisher mit ihren ‚Schlüsselzuweisungen‘ noch immer widersinnigerweise die Einwohner der Großstädte ‚veredeln‘, also das meiste Geld konsequent in die großen Städte lenken. Setzen wir aber einen solchen Strategiewechsel in der Landesplanung mal voraus, dann könnte dies eine erfolgversprechende Möglichkeit sein. Die Sehnsucht des Städters nach einem Leben auf dem Land ist unübersehbar vorhanden.
4. Die Cluster-Strategie, die auch ‚Miami-Strategie‘ genannt wird, weil diese amerikanische Stadt dank ihrer konsequenten Ausrichtung auf eine alternde Bevölkerung aus wohlhabenden Rentnern heute erfolgreich floriert. Gemeint ist also die zielgerichtete Förderung bestimmter Bevölkerungsgruppen – durchaus dann auf Kosten anderer. Dazu aber müsste in Rethem erst einmal ein Konsens entstehen, welche Art Stadt diese Gemeinde in Zukunft sein soll, wo also ihre ‚Marktlücke‘ liegt und wo sich ‚Kristallisationspunkte‘ bilden könnten: Eine Künstlerstadt wie Worpswede? Ein Technologiestandort im Allertal, also ein Silicon Valley im kleinen Maßstab? Eine Öko-Stadt der sauberen Energie? Oder vielleicht ein Anziehungspunkt für Migranten und Aussiedler, was wiederum die Geburtenrate beflügeln dürfte? Die Möglichkeiten wären zahlreich, nur müsste endlich mal Einigkeit – oder eine Vision – hergestellt werden, bevor vorhandene Mittel bevorzugt einem ‚Markenkern‘ zufließen könnten.
5. Die Schrumpf-Strategie: Sie besagt, dass der Bevölkerungsrückgang sich nahezu unaufhaltsam fortsetzen wird, und dass man sich rechtzeitig darauf einstellen sollte. Die Infrastruktur würde dementsprechend frühzeitig an die Abwanderung angepasst. Zum Beispiel durch den Abriss – fürnehmer ausgedrückt: ‚Rückbau‘ – leerstehender Häuser. Durch das Verbot, weitere Bauflächen in Randlagen auszuweisen, um stattdessen Investitionen in den bestehenden Leerstand zu fördern. Vielleicht auch durch die Einflussnahme auf die Gesetzgebung, damit so in ‚Insellagen‘ dann wieder die gute alte Klärgrube statt des Anschlusses an ein kostenintensives Kanalnetz zu Ehren kommen könnte. Und generell durch die Anpassung aller Investitionen an den zukünftigen Schrumpfungsprozess, indem man den Fetisch des ‚Wachstums um jeden Preis‘ verabschiedet. Die Autoren der Studie schreiben: