Die Diskussion um den Einsatz von Glyphosat verschärft sich, auch hier vor Ort. Denn natürlich betrifft der Streit eine landwirtschaftlich geprägte Region wie die unsrige in besonderem Maße. Aus zweierlei Gründen: Würde sich Glyphosat tatsächlich als gesundheitsschädlich herausstellen, wäre die Bevölkerung hier vor allen anderen betroffen. Aber auch die Landwirtschaft stünde ratlos da – bekanntlich ist sie kein ganz unbedeutender Faktor in unserer Region – dann, wenn ein Verzicht auf das Herbizid vorgeschrieben würde. Vor allem, weil dies einen erheblichen arbeitstechnischen Mehraufwand bedeutet, sobald der Gebrauch dieser ‚chemischen Sense‘ gesetzlich eingeschränkt wird. Von den Interessen der chemischen Industrie gar nicht zu reden, der ein Milliardenmarkt wegzubrechen droht. Entsprechend heiß und erbittert wird die Diskussion geführt, vor allem seit Glyphosat auch in der Muttermilch nachgewiesen wurde.
Zitieren wir hier einfach Statements der interessierten Wirtschaftszweige. Zunächst die Einschätzung von Proplanta, dem industrienahen ‚Informationszentrum für die Landwirtschaft‘:
„Die Arbeitsgemeinschaft Glyphosat, in der sich verschiedene Unternehmen der deutschen Pflanzenschutzindustrie zusammengeschlossen haben, rügte die Verunsicherung vieler Familien durch die Berichterstattungüber die Wirkstofffunde. Die Anlage der Untersuchung und ihre „effektheischende Art der Veröffentlichung“ hält sie für bedenklich. Der Vergleich mit Trinkwasser-Grenzwerten klinge auf den ersten Blick besorgniserregend. Es handele sich jedoch nicht um einen toxikologischen Grenzwert, sondern eine frühere Nachweisgrenze. Muttermilch sei ein sensibles und wichtiges Nahrungsmittel. Aber die darin festgestellten Mengen an Glyphosat sollten nicht zu falschen Schlüssen führen. Nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen gäben sie keinen Anlass zur Sorge. Der Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern forderte eine faire und wissensbasierte Diskussion auf der Grundlage von repräsentativen Studien. Man dürfe die Bevölkerung anhand von Stichproben nicht verunsichern. … Aus Sicht der Landwirtschaft sei das Mittel unverzichtbar, denn es gebe keine schonendere Alternative zum Glyphosat. … Minister Bonde zeigte sich unterdessen „äußerst beunruhigt“ von den Ergebnissen. Nachdem im März die Krebsforschungsagentur IARC der WHO Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend eingestuft habe, sei dies das nächste alarmierende Signal.“
Zwei Interessen kollidieren damit also: Die Unverzichtbarkeit des Mittels für die Landwirtschaft trifft auf eine höhere mögliche Krebsgefahr für die Bevölkerung, so wie dies vor allem die Weltgesundheitsorganisation festgestellt hat. Die Auseinandersetzung bezieht sich auf ein Mittel, das der Normalbürger für seine Auffahrt in keinem Baumarkt mehr erhält, und zwar aus Gesundheitsgründen, während zugleich die agrarisch genutzten Felder sich im Frühjahr hektarweise gelb färben dürfen. Was schreibt dazu ‚top agrar‘, das umsatzstarke Fachblatt für den modernen Landwirt?
„Die Analyse der zahlreichen Dokumente [durch das Bundesamt für Risikobewertung (BfR)] ergab keine Hinweise auf eine krebserzeugende oder fruchtbarkeitsschädigende Wirkung von Glyphosat bei Versuchstieren. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation hat dagegen den Wirkstoff Glyphosat im Frühjahr als wahrscheinlich krebserzeugend eingestuft. Die Entscheidung des IARC zum Glyphosat kann das BfR noch nicht beurteilen, da die Studie noch nicht vollständig vorliegt. Das BfR wird die vorgenommene Einstufung des IARC nach Erscheinen der Studie im August 2015 prüfen.
Letztlich aber wird wohl gar nicht das BfR entscheiden. Ganz unabhängig vom Bundesamt wird die zuständige EU-Kommission schon am Ende dieses Jahres eine Neubewertung des ‚Wirkstoffes gegen Altverunkrautung‘ vorlegen. Eine Verordnung dürfte die Folge sein, die dann von den Mitgliedsländern in praktisches Handeln umgesetzt werden muss.
Der Deutsche Bauernverband hat jetzt eine Argumentationshilfe herausgegeben, um den betroffenen Betrieben die kommende Diskussion zu erleichtern. Man sollte allerdings auch wissen, dass auf einem solchen Milliardenmarkt natürlich mit harten Bandagen gekämpft wird:
„Nach eigenen Angaben hat die BfR Hunderte Studien ausgewertet und kam anschließend, anders als andere Wissenschaftler, zu dem Schluss: Glyphosat ist nicht krebserregend. Einen Teil dieser Studien hat das Landwirtschaftsministerium auf Anfrage der Grünen Ende Juni namentlich benannt. Diese Liste mit 92 Titeln untersuchte nun die „Süddeutsche Zeitung“ und fand heraus: 14 davon waren gar keine wissenschaftlichen Expertisen, sondern Leserbriefe an ein Fachmagazin. Davon wiederum kamen zehn direkt von Mitarbeitern des Agrar- und Gentechnikkonzerns Monsanto, oder aus dessen Umfeld. Ein Skandal – und ein erneutes Indiz dafür, dass die BfR-Mitarbeiter ihre Arbeit nicht gerade objektiv erledigen. Dabei hängt von ihren Entscheidungen die Gesundheit von Millionen von Menschen ab.“