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Es ging schlicht ums Geld

Haben die Gesetze eine Lücke, stößt irgendwer auch dort hinein. So mag sich der eine oder andere gewundert haben, weshalb zwischen der Weihnachtszeit 2014 und Neujahr 2015 auf vielen landwirtschaftlich genutzten Flächen bis tief in die Nacht die Dieselmotoren röhrten, wobei sich bisheriges Grünland in Ackerland verwandelte. Denn um diese Jahreszeit liegen in anderen Jahren auch die Traktoren im Winterschlaf. Der Grund ist ganz einfach:

„Warum die Landwirte diese 13 Tage bis zur neuen bundesweiten Genehmigungs- und Ausgleichspflicht offensichtlich intensiv nutzten, ist klar: 2011 hat ein Hektar Grünland im Landkreis den Wert von 9000 Euro gehabt, Ackerland hingegen 17000 Euro. Mit dem Umbruch verdoppelt sich der Wert. Von 1995 bis 2010 hat sich der Grünlandanteil landesweit um 24 Prozent verringert.“

Dank des Biogas-Booms ist Mais längst sehr viel renditeträchtiger geworden als die traditionelle Heu- oder Weidewirtschaft.

Bis in die Nacht / Bild: Bundesarchiv, wikimedia / CCL

Bis in die Nacht / Bild: Bundesarchiv, wikimedia / CCL

Multiresistente Keime

Bei der Lektüre der ‚Zeit‘ stieß ich auf diesen Artikel, und plötzlich tauchte der vertraute Name ‚Nienburg‘ auf:

„Dann lernte [der Nienburger Arzt Gerd-Ludwig Meyer], dass Landwirte nicht mehr einfach nur Ferkelzüchter und Putenmäster waren, sondern Risikopatienten. „Wenn ein Landwirt in eine Klinik kommt, muss er im Prinzip sofort isoliert werden, die haben alle diese Keime.“ Alle sind es noch nicht, aber bis zu 80 Prozent der Landwirte in viehreichen Regionen sind mit gefährlichen Keimen befallen.“ (der Text verlinkt beim Anklicken auf die Quelle)

Das wäre also ein Problem direkt vor unserer Haustür – und es betrifft im Falle eines Falles jeden. Hat jemand aus der Region bereits ähnliche Erfahrungen in Kliniken und Krankenhäusern gemacht?

Maisbietend …

Geld lässt sich vermehren, die Anbauflächen bekanntlich nicht. Etabliert sich eine neue Industrie auf der gleichen Grundlage wie die bisherige – so im Falle der zunehmenden Biogasproduktion – dann ist ein Verdrängungswettbewerb unvermeidlich. Die Folgen sind unübersehbar, es ist jenes Phänomen, das im allgemeinen als ‚Vermaisung‘ der Landschaft beschrieben wird. Um die Optik soll es uns hier nicht gehen, uns interessieren die gesellschaftlichen Folgen, die diese Entwicklung auch für die Region Rethem haben könnte.

Pflanzliche Vielfalt im Heidekreis / Foto: Margret Dannemann-Jarchow

Pflanzliche Vielfalt im Heidekreis / Foto: Margret Dannemann-Jarchow

Der Laie oder Städter stellt sich die Bauernschaft gern als eine homogene Gruppe mit identischen Interessen vor. Das ist längst nicht mehr der Fall. In der Frage des Maisanbaus streiten sich ‚Landwirte neuen Typs‘ mit der traditionellen Landwirtschaft, die sich in einem Statement so äußert [alle Zitate im Text sind übrigens verlinkt, die Quellen mit einem Klick aufrufbar]:

„Die rosarote Darstellung der Biogasanlagenzukunft durch die Politiker ist völlig fehl am Platze!“, heißt es in einer Pressemitteilung der Landwirte. Der hohe Flächenbedarf für den Maisanbau führe zu einem „enormen Verdrängungswettbewerb mit den lebensmittelproduzierenden Landwirten“. Und diese sehen sich angesichts der Förderungen für die Gas-Wirte auf Grundlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf der Verliererseite.“

Der Wandel sei unausweichlich, heißt es gern von energiebäuerlicher Seite, Stimmen, wie sie sich bspw. im ‚Bauernverband‘ artikulieren: Wer nicht mithalten könne, der müsse eben weichen.

Ist das so? Mit guten Argumenten hantiert wiederum auch jene Ansicht, wonach dieser Wandel vor allem politisch vorangetrieben wurde, mit falschen oder übermäßigen ‚Anreizen‘ bei der Förderung durchs EEG. Zuvor jedoch ein paar Zahlen:

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Stadtverstand und Landgefühl

Jemand habe sich ‚contre coeur‘ entschieden, sagen die Franzosen, ‚gegen sein Herz‘ und gegen sein richtiges Gefühl. So scheint es vielen Deutschen zu ergehen, fragt man sie nach ihren Ansichten zum großstädtischen und ländlichen Leben. Das Institut Allensbach hat dies gerade wieder getan. Demnach ziehen die Menschen dorthin, wo es ihnen subjektiv schlechter ergeht.

Auf dem Land leben die Menschen schlicht ‚glücklicher‘, das glauben inzwischen schon vier Fünftel aller Menschen, unabhängig davon, ob sie nun in großen Städten oder inmitten von Äckern und Feldern leben. 1956 glaubten dies nur 19 Prozent, 1977 immerhin schon 43 Prozent. Ein bemerkenswerter Wandel, der in völligem Gegensatz zu tatsächlichen Gegebenheiten steht.

Glückliches Land ... / Foto: Anne Trebilcock

Glückliches Land … / Foto: Anne Trebilcock

Faktisch wandern nämlich immer mehr Menschen in die Großstädte, vor allem wegen der besseren Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, obwohl diese von höheren Miet- und Lebenshaltungskosten rasch wieder aufgefressen werden. Die Politik nennt dies ‚das demographische Problem‘. So etwas hat natürlich Folgen.

In den Städten steigt fortwährend der Aufwand, der für neue Wohnmöglichkeiten betrieben werden muss, die letzte Brache verwandelt sich dort in Bauland. Auf dem Land wiederum muss immer mehr Infrastruktur von immer weniger Einwohnern erhalten werden, die Kanalisation erweist sich bspw. als überdimensioniert, die Leerstände nehmen zu, die Substanz verfällt.

Faktisch sind die Unterschiede zwischen dem Stadt- und dem Landleben aber geringer, als viele annehmen. Es ist vor allem eine Gefühlsebene, die diese Unterschiede festschreibt, ‚Romantisierung‘ spielt die entscheidende Rolle. Die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ schreibt:

Die Begriffe „gute Luft“, „günstiger Wohnraum“ und „Nachbarschaftshilfe“ werden von großen Mehrheiten dem Landleben zugeordnet, Stichworte wie „gute Einkaufsmöglichkeiten“, „abwechslungsreich“, aber auch „Schmutz“ und „Lärm“ dem Leben in der Stadt. Etwas überraschend ist vielleicht dagegen, dass die Befragten die Assoziation „einsam“ zu 27 Prozent dem Landleben, aber zu 39 Prozent dem Leben in der Stadt zuordnen.“

Bei vielen Städtern existiert also ein Bild vom Landleben, das so längst nicht mehr existiert: Da kräht der Hahn noch auf dem Mist, die Kinder spielen mit Lämmern und Katzen auf dem uralten Kopfsteinpflaster des Hofes, an den hölzernen Staketenzäunen rankt sich die Ackerwinde, die gute Oma nebenan erzählt dem Nachwuchs ihre Märchen, während draußen der Wintersturm tobt, und an den Sonntagen zieht die Feuerwehrkapelle vorm Heimatmuseum vorbei.

Mit dem wirklichen Landleben hat diese Idylle natürlich wenig zu tun, mit der Stallfütterung, mit der fortschreitenden Computerisierung der Landwirtschaft, mit der zunehmenden Monokultur und mit vielem mehr. Auch das bäuerliche Leben ist durch und durch ‚modern‘ geworden.

Trotzdem liegt in der Sehnsucht der Städter eine große Chance für die regionale Entwicklung auf dem Land. Mit der Stressfreiheit, mit der endlosen Landschaft, mit dem windungsreichen Fluss, mit der ungebrochenen Nachbarschaftshilfe, mit billigen Haus- und Gewerbemieten und mit preiswerteren Lebenshaltungskosten besitzt das Land durchaus Pfunde, mit denen sich wuchern ließe. Auch, indem man die hoffnungslos romantischen Vorstellungen der Städter bewusst argumentativ bedient. Es gilt, jener Sehnsucht des Städters, welche die ‚Landlust‘ monatlich millionenfach füttert, eine reale Heimat zu schaffen. So ließe sich vielleicht künftig die ‚Landflucht‘ in eine ‚Stadtflucht‘ verkehren.